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St. Vitus, 14. Jh.; mit Buch und Palme, heute in einer Nische neben Kanzel. Das Namensfest des heiligen Vitus (15. Juni) ist am nächstfolgenden Sonntag für die Stadt- und Pfarrgemeinde Willebadessen einer der höchsten Feiertage im Kirchenjahr. |
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Abschlußstein im Westkreuzgang. St. Vitus mit Rabe und Löwen. |
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Vitusschrein, um 1200 |
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Vitusschrein, um
1200, Längsseite |
von Johannes Flore und Hans Jürgen Brandt
Der jugendliche Märtyrer Vitus gehört als Schutzpatron und Nothelfer zu den beliebtesten Heiligen Europas. Er ist Landespatron von Sizilien, der Gebiete der alten Sachsen, d. h. von Westfalen und Niedersachsen, von Pommern, der Insel Rügen und von Böhmen. Über 1300 Orte besitzen den hl. Vitus als Haupt- oder Nebenpatron von Kirchen oder Kapellen, viele als namengebend für Dörfer und Städte, an 150 Orten werden Reliquien von ihm verehrt. Mit mindestens 34 Patronaten ragt er aus dem Kreis der einst hochverehrten Vierzehn Nothelfer heraus, angefangen als Schutzherr der Apotheker, Bierbrauer, Gehörlosen und Fallsüchtigen bis hin als solcher von Soldaten, Schauspielern und Winzern. Seit seiner Hinrichtung vor 1700 Jahren, vermutlich im Jahre 304/305 in Mazara del Valla an der Südwestküste Siziliens, ist sein Name bis heute trotz allen Wandels der kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in lebendiger Erinnerung geblieben. Das erstaunt um so mehr, als über sein Leben außer der Tatsache, daß Vitus jung für Christus starb, kaum etwas historisch verbürgt ist. Nach der um 600 aufgezeichneten „Passio Sancti Viti", seiner Leidensgeschichte, hießen sein heidnischer Vater Hylas, seine Amme Creszentia und sein Erzieher Modestus, beide Christen. Weil Hylas die beiden und seinen christlich gewordenen Sohn Vitus zum Abfall vom Glauben zwingen wollte, seien die drei geflohen. Obwohl Vitus den Sohn Kaiser Diokletians von der Besessenheit heilte, hätten dennoch alle drei ihres christlichen Glaubens wegen sterben müssen.
Der früh vollendete Vitus wurde geradezu ein wandernder und politischer Heiliger im werdenden Europa. Die Ruhepausen, die man seinem heiligen Leichnam gönnte, verkürzten sich immer mehr. Das erste Mal erhob man seine Gebeine 583 und übertrug sie von Sizilien nach Lukanien in Unteritalien. Von dort kamen sie 756 nach St. Denis bei Paris, in die spätere Grabeskirche der französischen Könige. Als man 836 seine Gebeine von der Seine in das Kloster Corvey an der Weser übertrug, verlagerte sich das Zentrum der Vitusverehrung von Westen an die Ostgrenze des Reiches. Hier stieg Vitus zum Schutzherrn und Reichsheiligen der sächsischen Kaiser auf. Anstatt der Märtyrerpalme trägt er auf Bildnissen seitdem oft den Reichsapfel in der Hand. Im später zum Bistum erhobenen Corvey behauptete St. Vitus den Rang eines Dom- und Diözesanpatrons. Von Corvey aus strahlte früh seine Verehrung in alle Himmelsrichtungen; im Stafettenlauf nach Osten bildete bereits um 900 Prag den Vorposten für die Verbreitung seines Namens unter den Slawen. Der hoch über der Moldau aufragende, seinen Namen tragende Veltsdom auf dem Prager Hradschin läßt noch heute beispielhaft die dynamische Kraft der mittelalterlichen Vitusverehrung auch im Osten des Reiches ahnen.
Die Kunst stellt diesen Heiligen stets sehr jugendlich dar, in gewählter, seinem Stande entsprechender Kleidung. Als Attribute seines Martyriums finden sich Palme, Lorbeer und Krone. Mit Anspielung auf die Art seines Martyriums sieht man auf den Vitusbildern einen Kessel, aus welchem Flammen aufsteigen, sowie einen ihm zur Seite kauernden Löwen. Die Martyrerakten berichten nämlich, er sei in einen Kessel siedenden Öles geworfen, aber unversehrt geblieben, und ein Löwe, dem der Heilige vorgeworfen sei, hätte sich wie ein zahmes Lämmchen zu seinen Füßen gelegt. Das Schiff, welches häufig auf den Bildern dieses Heiligen im Hintergrund zu sehen ist, deutet entweder auf die Abreise aus seiner Heimat, oder noch wahrscheinlicher auf die im fremden Lande an ihn gelangte Nachricht: Diokletian rufe ihn nach Rom zurück, damit er den von einem Dämon geplagten Sohn des Kaisers, vermöge seiner erprobten Wunderkraft, gesund mache.
Am bekanntesten, aber noch am wenigsten erklärt, ist das Symbol eines Vogels auf dem Bilde des heiligen Vitus. Die Sage will freilich wissen, ein Adler und ein Löwe hätten den Heiligen, als er sich mit seinen beiden Erziehern Modestus und Creszentia in der Wüste verborgen hielt, wunderbar ernährt. In Corvey wird der Vogel auf den Vitusbildern als ein Adler hingestellt. Im übrigen Westfalen hat man ihn als Raben aufgefaßt, ohne aber irgendeine Erklärung dafür zu geben. Das Schloß Schwarzenraben bei Erwitte trägt seinen Namen noch von diesem Vogel. Dort stand ehemals die „Villa" Wammeke oder Wenbeke. Corvey hatte hier reichen Besitz. Als dann die von Hoerde sich dort ihren Rittersitz bauten und wahrscheinlich als Vasallen von Corvey (lat. corvus = der Rabe) das Bild des heiligen Patrons mit dem Vogel anbrachten, nannte man, wie die Volksüberlieferung sagt, das Haus "zum schwarzen Raben".
Eine ganz andere Erklärung ist folgende: Von Corvey aus wurde die Insel Rügen bekehrt, welche früher sogar Eigentum der Abtei war. Die westfälischen Glaubensboten bürgerten sogar dort auch die Verehrung ihres Schutzheiligen ein. Aber die Pommern auf Rügen fielen vom Christentum wieder ab und behielten nur eine dunkle Erinnerung an St. Vit, den sie entweder mit dem alten heidnischen Götzen Swantovit verwechselten oder als einen tapferen Ritter in gutem Andenken hielten. Als nun der heilige Otto, Bischof von Bamberg, im 12. Jahrhundert Apostel der Pommern wurde, fand er neben dem Vitusbilde das Bild eines Hahnes, der in der nordischen Mythologie eine große Rolle spielte, und, da er diesem Vogel eine gut christliche Deutung zu geben vermochte, ließ er ihn ferner auf den Vitusbildern bestehen.
Es gibt wenige Heilige, deren Ruf so groß und allgemein geworden ist, wie der des heiligen Vitus. Der Name Vitus findet sich mit mancherlei Varianten fast in allen Sprachen als Vorname: Velt, Veltel, Vieth, Guido, Gay, Swantovit. Eine Menge von Ortschaften und Städten wurden nach diesem Heiligen benannt, entweder einfach St. Velt oder St. Vith oder in der Zusammensetzung St. Veltsberg. Auch die Stadt Wiedenbrück hat wahrscheinlich ihren Namen vom heiligen Virus, als „Pons S. Viti", Vitsbrück. Damit erklärt sich die älteste Schreibweise des Ortes Vuitanbrucca und der Umstand, daß nur eine halbe Stunde davon das alte Pfarrdorf St. Vith liegt, zu dessen Pfarrei bis in die neuere Zeit einige Häuser von Wiedenbrück und ein dortiger Kirchhof gehörten.
Im Erzbistum Paderborn verehren den hl. Vitus als Kirchen oder Kapellenpatron außer Willebadessen noch Alhausen, Bontkirchen, Büderich, Bühne, Corvey, Elspe, Erlinghausen, Haaren, Hegensdorf, Herdringen, Messinghausen, Mönninghausen, Paderborn (Kapelle im Dom), St. Vit und Westheim. Das Vituspatronat in Börninghausen, Detmold, Giershagen, Hemer und Rentrup ging in der Reformation unter.
Der Grund der weiteren Verbreitung der Verehrung des heiligen Vitus überhaupt und in Westfalen besonders, war die Translation seiner Reliquien ins Weserkloster Corvey. Die Übertragung der Vitusreliquien nach Corvev, und damit die Schaffung der Möglichkeit für die Ausbreitung seines Kultes, war eine Folge der Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen. Die kirchliche Organisation im Sachsenlande entwickelte sich nur langsam. Viele Edelinge aus Sachsen waren nach Frankreich geschickt worden. Manche von ihnen wurden in fränkischen Klöstern ausgebildet und traten dort als Mönche ein. Eine solche Stätte der Erziehung war Corbie an der Somme. Hier scheint zum erstenmal der Gedanke aufgetaucht zu sein, im Sachsenlande ein Kloster zu errichten. Man trat an Kaiser Ludwig den Frommen heran, der einer solchen Gründung nicht abgeneigt war. Auf dem Reichstag zu Paderborn 815 gaben der Kaiser und auch der erste Bischof von Paderborn Hathumar (806 bis 815), in dessen Sprengel die Gründung erfolgen sollte, ihre Einwilligung. Der Kaiser schenkte dazu die "villa regla" Hethis im Solling. Der Platz aber erwies sich bald als ungünstig und man sah sich gezwungen, einen anderen Ort für das Kloster zu suchen. Gewählt wurde schließlich das heutige Corvey an der Weser, die „villa huxori", die Ludwig der Fromme durch Urkunde vom 27. Juli 823 der neuen Gründung schenkte.
Das Kaiserhaus sah die Gründung als seine an und stattete sie mit vielen Privilegien aus. Der Gunst des kaiserlichen Hauses verdankt Corvey seinen schnellen und glänzenden Aufstieg. Die Nova-Corbeja, Neu-Corvev, erhob sich bald zu dem zentralen Kloster für den gesamten Sachsenstamm. Hier suchte und fand eine Zuflucht und liebevolle Aufnahme der vertriebene Abt Hilduin aus St. Denis. Als dieser nach einigen Jahren aus dem Exil heimkehren durfte, suchte er seine Dankbarkeit gegen das gastfreundliche Kloster an der Weser dadurch zu beweisen, daß er diesem die Gebeine des heiligen Virus überließ, in dessen Besitz die Abtei zu Denis von Rom aus gelangt war. Am 13. Juni 836 kam der feierliche Zug in Corvey an.
Aus einer Urkunde vom 27. Juli 823 geht hervor, daß der Kaiser dem Kloster Corvey Reliquien vom heiligen Stephanus zum Geschenk gemacht hatte. Dieser Heilige war denn auch der Hauptpatron der Kirche. Mit dem Erwerb der Gebeine des heiligen Vitus trat ihm nun ein Nebenpatron zur Seite, der den Hauptpatron bald ganz verdunkelte. Der Name Vitus verwuchs ganz mit Corvey. Für diese Veitsverehrung war die Translation nach Corvey von grundlegender Bedeutung. Mit der wachsenden Bedeutung des Klosters wurde der Vitus-Kult weitergetragen. Aus dem sächsischen Volksheiligen wurde ein Reichsheiliger. Schon vom Einzug der Reliquien erzählt der Bericht der Heiligtumsfahrt von der Menge des Volkes und von der Beteiligung des Adels aus dem Sachsenlande. Die weite Umgebung des Klosters muß an diesen Tagen einem Heerlager geglichen haben. Es war ein Zusammenlauf größten Umfangs in Andacht und Freude, von einer Ausdehnung, daß eine Meile im Umkreis um das Kloster die Ackerfelder mit Zeiten der adeligen Männer und Frauen besetzt waren. Aus allen Gegenden Sachsens sollen sie nach dem Bericht hierher gekommen sein, ihren Heiligen zu ehren.
Aber auch in der späteren Zeit hat das Fest nichts von seinem Glanze verloren. Im 11. Jahrhundert war der 15. Juni, der Tag unseres Heiligen, der glänzendste Festtag für das Kloster und das ganze Stiftsland. Ein Höhepunkt muß das Vitusfest von 1019 gewesen sein, als der Kaiser Heinrich 11. mit großem Gefolge in Corvey weilte. Die Reliquien des Heiligen ruhten in einem silbernen, schon von Abt Warinus beschafften Schrein und blieben das ganze Mittelalter hindurch in großer Verehrung. Nach vielen Orten wurden kleine Teile derselben abgegeben.
In einer Beziehung freilich hat die Vitusfeier der letzten Jahrhunderte niemals diejenige des elften Jahrhunderts wieder erreicht. Damals berichten die Annalen von einer frommen Sage, die von Wundern zu erzählen weiß, die Gott zur Verherrlichung dieses Festes alljährlich gewirkt habe. Aus dem dichten Sollingwalde, so lautet die Sage, kamen zum Vitusfest zwei Hirsche gerannt und stellten sich in die Küche des Klosters. Einen davon durfte der Bruder Koch nehmen und zum Feste bereiten, den andern aber mußte er wieder freigeben. Ebenso kamen aus der Weser zwei große Störe ans Land geschwommen, auch davon durfte der Koch einen fassen und kochen, dem andern mußte er die Freiheit geben. In der Kirche hinter dem Altare entsprang an diesem Festtag ein starker Quell, der den schönsten Tafelwein lieferte. Als später aber die Leute ungenügsam wurden, beide Hirsche behielten und sich des Weines im Übermaß bedienten, blieb die himmlische Spendung ganz aus.
Eine Unterbrechung der glänzenden Vitusfeiern gab es im dreißigjährigen Kriege. Im Jahre 1634 wurden von den plündernden Soldaten unter anderen Schätzen auch die Gebeine des heiligen Vitus samt dem silbernen Schreine geraubt und verschleppt. Trotz aller, auch vorn Kaiser und Papst aufgewandten Bemühungen konnten sie nicht wieder entdeckt werden. Aber auch nach 1634 besaß Corvey noch namhafte Teile des heiligen Leichnams, insbesondere ein Schulterbein desselben, welches in das Brustbild des Heiligen eingeschlossen und am Vitusfest feierlich verehrt wurde. So blieb nun die äußere Feier des Vitusfestes auch nach jenem Unglücksjahre dieselbe.
Schon am Vorabend des Festes zog nach einem alten, auch in neuerer Zeit festgehaltenen Brauch die gesamte Bürgerschaft Höxters mit Wehr und Rüstung nach Corvey, hielt einen kleinen Umzug durch die Kirche und suchte dann eine Erquickung. Der Festtag selbst mußte von allen Untertanen des Stiftes durch Enthaltung von jeder knechtlichen oder Geräusch machenden Arbeit gefeiert werden. Die Einwohner Höxters, ebenso auch die Bewohner der umliegenden Ortschaften, zogen in Prozession zur Abteikirche, wo gewöhnlich von einem auswärtigen Ordensgeistlichen die Festpredigt gehalten wurde. In der Regel aber kamen erst während der Predigt die einzelnen Prozessionen an, so daß wegen des beständigen Geräusches nur die am nächsten Stehenden etwas vernahmen. Es galt deshalb in christlichen Kreisen die Regel, der Vitus-Festredner dürfe nur mit gehobener Stimme: "St. Vitus! St. Vitus!" rufen. Im übrigen könne er nur die Lippen bewegen und in den Bart murmeln, was er wolle, er habe dann doch gut gepredigt. Anschließend wurde dann das feierliche Hochamt gehalten, und nun setzte sich die große Vitusprozession in Bewegung, welche wegen der fast allgemeinen Beteiligung der Stiftsangehörigen eine unvergleichlich großartige war.
Aber nicht allein in Corvey, sondern auch in anderen Orten des Hochstiftes Paderborn wurde und wird noch heute der heilige Vitus verehrt. Ganz besonders feierlich wird das Fest dieses Heiligen in Willebadessen gestaltet, wo St. Vitus Patron der alten Klosterkirche ist. Seine Verehrung reicht zurück schon in die Zeit vor der Klostergründung (1149). Alljährlich feierte man das Fest des „Adventus sancti Viti" am 14. November (Cod. 43, fol. 22v). Das Fest des heiligen Vitus selbst ist noch heute für ganz Willebadessen und alle, die sich mit ihm verbunden wissen, das höchste Heimatfest des Jahres. |
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